Die Entstehungsgeschichte Schlarbhofens (Fortsetzung)


1. Die donauschwäbische Besiedlung

Das Schicksal der Familie Schlarb im ehemaligen Jugoslawien ist typisch für die Volksgruppe der Donauschwaben. Nicht wie jene Schwaben, die man heutzutage in weiten Teilen Baden-Württembergs trifft, waren die Donauschwaben ursprünglich kein einheitliches Volk mit eigener, klar identifizierbarer Sprache und eindeutigem Stammgebiet. Vielmehr wanderten Menschen aus weiten Teilen Deutschlands, von der Pfalz und dem Schwarzwald bis Franken und Bayern, in die Gebiete der Habsburger Kaiser entlang der Donau und wurden erst dort zu einem einigermaßen einheitlichen Volk samt eigenem deutschen Dialekt, Brauchtum und Tracht.

Am Anfang dieser Wanderbewegung standen die Türkenkriege des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Jahr 1683 stand der Türkenführer Kara Mustafa und sein gewaltiges Heer nach einem Jahrzehnte dauernden Feldzug vor den Toren Wiens. Nur mit Hilfe des polnischen Fürsten Jan III. Sobieski konnte der damalige österreichische Kaiser Leopold I. die Belagerung der Stadt brechen und das Türkenheer in die Flucht schlagen. Während der folgenden Jahrzehnte drängten die kaiserlichen Truppen die türkische Besatzungsmacht immer weiter nach Süden und Osten zurück. Zuerst wurden die wichtigsten Städte Ungarns (Budapest 1686; Szeged 1687), dann auch Belgrad (1688) befreit; zum Schluß besiegte Prinz Eugen von Savoyen das türkische Heer bei Temeschwar (1716). Mit dem Friedensvertrag von Passarowitz 1718 gelangte das ganze Gebiet nördlich von Belgrad bis Siebenbürgen d.i. heute Ostungarn und Nordserbien bzw. die Wojwodina wieder in den Besitz des österreichischen Kaisers.

Krieg und Besatzung hinterließen einen öden, entvölkerten Landstrich von eminent strategischer Bedeutung. Nichts war naheliegender als Bauern aus übervölkerten Teilen des Habsburger Reiches hierher zu holen, um feste Siedlungen aufzubauen und in den fruchtbaren Auen zwischen den Flüssen Donau, Save und Theiß Ackerbau zu betreiben. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde in der Folge zu drei so genannten Schwabenzügen aufgerufen. Zuerst unter Karl VI. (1711-1740), dann Maria Theresia (1740-1780) und schließlich unter Joseph II. (1780-1790) kamen Siedler aus Südwestdeutschland (Elsaß, Pfalz, Württemberg), aus Bayern aber auch aus Italien und Frankreich, angelockt mit der Aussicht auf befristete Steuerfreiheit, eigenes Ackerland und materielle Hilfe bei der Ansiedlung, um sich an der Südostgrenze des Habsburgreiches niederzulasse

In der Regel waren diese Siedlungsaktionen gut vorbereitet. Jede Familie bekam genügend Grund für Äcker, Wiesen, Weiden und Haus sowie Vieh und Werkzeug zugeteilt; die Siedlungen wurden nach vorgegebenem Plan angelegt; die Ortschaften genossen unter ihrem Ortsvorstand ein bestimmtes Maß an Autonomie in kultureller Hinsicht. Wenn, wie es besonders nach dem ersten Schwabenzug kam, viele einen frühen Tod fanden, dann war das auf Krieg oder Seuche zurück zu führen. Noch in den frühen Jahren des 18. Jahrhunderts gelangten die Türken immer wieder über die Donau und rotteten ganze donauschwäbische Dörfer aus. Für das Leben in einer sumpfigen Landschaft mit heißem Sommerwetter hingegen waren nur die robustesten deutschen Siedler gerüstet. Häufige Überschwemmungen erhöhten die Krankheitsgefahr. Die Erinnerung an die ersten schweren Jahre schlägt sich in folgendem Spruch nieder, den die später nach Deutschland Zurückkehrenden oft zitierten, um somit ihr Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem ihrer Vorfahren zu vergleichen:

Die Ersten fanden den Tod,
die Zweiten die Not,
die Dritten erst Brot.

Bis zur letzten Siedlungsperiode unter Joseph II. waren jedoch die schlimmsten Härten in der neuen Heimat bereits überwunden worden.

Für die deutschen Kolonisten spielte die Religion eine ausschlaggebende Rolle im Leben. Der Siedlungsplan wurde nicht selten von der konfessionellen Zugehörigkeit der Neuankömmlinge bestimmt. So entstand etwa unter Maria Theresia, die noch den Übertritt zum katholischen Glauben von protestantischen Einwanderern verlangte, vorerst ein katholisches Bauerndorf. Später, als Joseph II. ausdrücklich protestantische Siedler einlud, entstand ein neues, von Lutheranern bevölkertes Viertel im Dorf. Es kam sogar vor, dass auch Reformierte und Lutheraner in voneinander getrennten Siedlungen wohnten. Dies hatte unter Anderem seinen Grund darin, dass die konfessionelle Zugehörigkeit bei der Besetzung von wichtigen Ämtern im Dorf oft eine wichtige Rolle spielte. Während die Reformierten ihren eigenen Pfarrer wählten, mußten die Katholiken Vorlieb mit der Wahl ihres Bischofs nehmen; darüber hinaus war die Kirchenzugehörigkeit des Dorflehrers eine Frage, die alle anging.

2. Die Migration von Nikolaus Schlarb

Die Vorfahren der jugoslawischen Schlarbs stammten aus dem Hunsrück, einem Hügelland, das heute in Rheinland-Pfalz liegt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts folgten viele Bauern und kleine Handwerker aus dieser Gegend der Einladung des österreichischen Kaisers Josephs II, sich in den Habsburger Kronländern an der südöstlichen Reichsgrenze niederzulassen. Unter den pfälzischen Siedlern im so genannten Dritten Schwabenzug befand sich ein gewisser Nikolaus Schlarb aus Bärenbach bei Söhren. Motiviert durch die Aussicht auf Land und Freiheit kamen er und seine Familie um das Jahr 1786 nach Siwatz, einem Ort, der heute in der Provinz Wojwodina in Serbien liegt. Damals hieß das Gebiet zwischen den Flüssen Donau und Theiß und nördlich von Belgrad die Batschka (dt. Batschgau). Bezeichnenderweise ließ sich diese reformierte Familie in Neusiwatz nieder, einer neulich gegründeten Bauernsiedlung unweit des vorwiegend katholischen Ortes Siwatz.

Es muß bezweifelt werden, ob die sprichwörtliche Erfahrung von “Tod und Not” auch noch bei Nikolaus Schlarb und seinen Nachkommen zutrifft, denn Siwatz hatte schon seit mehr als 40 Jahren bestanden; bei der Ansiedlung gab es ausreichend viele etablierte Nachbarn, die über den ersten Winter hinweg halfen. Auch wenn er nicht verhungert ist, fand Nikolaus Schlarb laut Aufzeichnung bereits im 64. Lebensjahr, am 1.2.1814, den Tod. Wie die meisten Donauschwaben, hinterließen er und seine Frau eine Anzahl von Kindern. Diese wiederum heirateten und gründeten eigene Höfe samt großen Familien.

3. Die Migration von Adam Schlarb

Aufzeichnungen bezeugen den Donauschwaben im allgemeinen ein beträchtliches Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert. Aus ursprünglich 30.000 deutschsprachigen Siedlern in der Batschka, der Region um Siwatz, im 18. Jahrhundert wurden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 geschätzte 150.000. Als nach drei Generationen kaum mehr landwirtschaftliche Fläche in der Nähe zur Verfügung stand, faßte Adam Schlarb, ein Urenkel des Nikolaus, den Entschluß, weiter nach Süden d.h. näher an die Reichsgrenze zu ziehen und neues Siedlungsland zu suchen.

Zuerst schlug es ihn nach Dobanovci im Kreis Semlin (Zemun, heute in Serbien) wo er 1877 Katharina geb. Waller heiratete. Bald zog das frisch vermählte Paar nach Rajevo Selo im Kreis Zupanja in Ostslawonien (heute ein Teil Kroatiens) und baute sich eine Existenz auf. In den Jahren 1883 bis 1902 wurde ihnen eine Schar von Kindern geboren, die später zur Gründergeneration von Schlarbhofen gezählt werden sollten: Susanna (1883), Adam (1886), Jakob (1887), Theresia (1889), Christina (1890), Heinrich (1892), Peter (1894), Franz (1896), Karl (1898), Johann (1902).

In Rajevo Selo, einem vorwiegend kroatischsprachigen Ort, brachte es die Familie Schlarb zu einem verhältnismäßigen Wohlstand. Mit der Zeit führten die Söhne nicht nur eigene landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch eine Anzahl von weiterverarbeitenden Betrieben wie etwa eine Getreidemühle und eine Spinnerei.

Ihr Alltag war im wesentlichen von der bäuerlichen Arbeit und somit von der Ordnung geprägt, welche die Folge von Saat und Ernte sowie der tief empfundene religiöse Glaube der dörflichen Gemeinschaft vorgaben. “Halte Ordnung, und die Ordnung wird dir Halt verleihen” ist das Motto, dem diese Landbewohner in ihrer Lebensweise verpflichtet waren. Neben strengen religiös-moralischen Sitten kannten sie auch ausgelassene, genußbetonte Feste wie Hochzeiten und das jährliche Schlachtfest oder “Schlachte”, bei dem die Großfamilie mehrere Schweine zerlegte und zu Wurst und Fleischwaren verarbeitete. Dabei sang man und scherzte, freute sich über die Gemeinschaft und üppige Köstlichkeiten.

Wie andere donauschwäbische Bauern nahmen die Schlarbs selten Notiz von Ereignissen außerhalb ihres Dorfs. Das Geschehen in für sie fernen Großstädten tangierte sie kaum, auch die großen politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts, wie die Revolution vom März 1848 in Wien und der Ungarn-Aufstand im gleichen Jahr, nahmen sie nur insofern wahr, als diese Ereignisse im Alltagsleben der deutschsprachigen Siedler schließlich Spuren hinterlassen sollten. Der österreich-ungarische Ausgleich von 1867 brachte einerseits mehr Rechte und größere Autonomie für die ungarischen Untertanen des Kaisers in der einen Reichshälfte, die Donauschwaben mußten hingegen bald feststellen, dass der ihnen bei der Ansiedlung vom Kaiser versprochene Minderheitenschutz zusehends an Bedeutung verlor. Somit hielt in der Schule und am Amt das Kroatische immer stärker Einzug. Deutschsprachige Reichsbürger wie die Schlarbs sahen sich immer mehr einer teils unterschwelligen, teils offensichtlichen Diskriminierung gegenüber.

Dem zum Trotz legten die Schlarbs großen Wert auf ihre kulturelle Identität als Deutsche. In den eigenen vier Wänden bedienten sie sich konsequent der deutschen Sprache. Dieses Bewußtsein von der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft wurde nach dem Ersten Weltkrieg und dem Übergang Slawoniens in jugoslawische Herrschaft zugleich zum Verhängnis und zur Rettung der Schlarb-Sippe, wie die weitere Geschichte zeigen sollte.

4. Den Niedergang des Habsburgerreiches

Nach dem Zerfall der Donaumonarchie strebten fast alle Reichsvölker die vom US-Präsidenten Woodrow Wilson propagierten Selbstbestimmung der Völker an. Während Serben und Ungarn einen eigenen Staat erhielten, gingen andere Volksgruppen wie Slowenen, Kroaten, Bosnier, Kosowarer und auch die Volksdeutschen in Jugoslawien leer aus. Mit dieser groben Festsetzung nationaler Grenzen wurden zwar größere Verwaltungseinheiten geschaffen, damit wurde jedoch auch die Zwietracht gesät, die sich in Vertreibung, ethnischer Säuberung und Massenvernichtung während zweier Kriege entladen sollte. Gerade im Umkreis von Rajevo Selo, zwischen Vukovar, Bijelijna, Tuzla und Bosanski Brod wurden nicht nur hunderte von Tausenden von Volksdeutschen aus ihren Häusern gejagt, am Fluß erschossen oder in Konzentrationslagern hingerichtet, sondern später dann auch unzählige bosnische Moslems, Kroaten und Serben.

5. Das Aufstieg des Nationalsozialismus

Auch wenn sie ganz bewußt Deutsche waren, identifizierten sich die jugoslawischen Schlarbs, wie andere donauschwäbische Familien, nicht übermäßig mit der nationalsozialistischen Ideologie. Vielmehr begrüßte man zwar die von Hitler proklamierte besondere Pflege deutscher Kulturwerte, für die politischen Ziele der NS-Partei konnte man sich nur mäßig erwärmen. Allgemein lag es den Donauschwaben daran, im Frieden der Landwirtschaft in ihrer inzwischen zur Heimat gewordenen Umgebung nachzugehen. Sie wollten auch im jungen Jugoslawien nur Deutsche sein und bleiben. Eine Stimme aus den 30er Jahren mag dies verdeutlichen:

Für uns ist der Nationalsozialismus nicht mehr und nicht weniger als eine politische Partei. Die Partei ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Muttervolke und die Parteiführer nicht gleichbedeutend mit Deutschland. Es hat für uns ein Muttervolk gegeben, bevor diese Partei auf den Plan getreten ist und es wird ein Deutschland geben, wenn das jetzige Regime längst der Geschichte angehören wird.
(Adam Berenz, Die Donau, Nr. 8/1937, zitiert nach J. V. Senz, Geschichte der Donauschwaben, München 1993, S. 220)

Dieses prophetische Wort würde in wenigen Jahren auch für die Familie Schlarb seine persönliche Erfüllung finden.

Im Jahr 1937 richtete die nationalsozialistische Regierung in Berlin die “Volksdeutsche Mittelstelle” ein. Dieses Amt sollte sich der Aufgabe widmen, den vielen Volksdeutschen außerhalb des so genannten Vaterlands, also neben Donauschwaben u.a. auch Sudetendeutschen, Schlesiendeutschen und Ostpreußen, unterstützend, koordinierend und organisierend unter die Arme zu greifen. Die Volksdeutsche Mittelstelle – oder VOMI abgekürzt – ergriff für die Volksdeutschen Jugoslawiens Partei im Zweiten Weltkrieg, manchmal sogar über deren Interessen hinweg. Nach dem Sturz der Belgrader Regierung durch serbische Offiziere im März 1941 eroberten reichsdeutsche Truppen ganz Jugoslawien und installierten bald darauf eine eigene Regierung für Kroatien in Zagreb. Über diese Ereignisse aus ihrer Sicht berichten betroffene Mitglieder der Familie Schlarb:

Die deutschen Bewohner des Dorfes [Rajevo Selo] wurden seit dem Belgrader Putsch (27. März 1941) von den Behörden beobachtet. Vier führende Männer wurden in der Gemeinde als Geiseln festgenommen, alle übrigen Ortsbewohner durften den Ort nicht verlassen. Sämtliche Männer des Dorfes, die anläßlich der Mobilmachung des jugoslawischen Heeres die Einberufung zum Militärdienst erhielten, folgten ihr. Die meisten kamen jedoch nicht zum Einsatz. Es gab keine Entwaffnung zurückgehender jugoslawischer Soldaten, und es kam zu keinen Sabotageakten.
(Donauschwäbische Kulturstiftung, Weißbuch der Deutschen aus Jugoslawien, München 1992, Ss. 758f., im Folgenden: Weißbuch)

Daraus geht hervor, dass auch die Schlarbs sich bis zum deutschen Einmarsch als treue Staatsbürger Jugoslawiens verhielten.

Mit Hilfe der VOMI durften die Volksdeutschen Jugoslawiens erstmals als Körperschaft öffentlichen Rechts nach außen hin auftreten. Darüber hinaus jedoch arbeitete die VOMI im Hintergrund daran, Hitlers eigene Geheimabsicht zu verwirklichen, die Donauschwaben “heim ins Reich zu holen”. Diese Absicht blieb auch den Mitgliedern der Familie Schlarb verborgen; hätten sie davon gewußt, wären sie damit nicht einverstanden gewesen. So traf sie der Evakuierungsbefehl 1944 völlig unvorbereitet.

6. Die deutsche Invasion Jugoslawiens

Nach dem deutschen Einmarsch in Jugoslawien 1941 war das Land lange noch nicht befriedet. In Kroatien einerseits drangsalierten die so genannten “Ustascha” (dt. “Aufständische”) ihre serbisch-orthodoxen Mitbürger und zwangen sie zum Übertritt zum römisch-katholischen Glauben. Gleichzeitig entstanden in Serbien kommunistische Partisanenverbände unter der Führung Titos neben den schon lange bestehenden serbisch-nationalen Tschetniks, einer anderen paramilitärischen Organisation,. Damit waren alle Voraussetzungen für offenen Bürgerkrieg gegeben. Je mehr die Ustascha die Serben Kroatiens bedrohten, desto mehr Zulauf hatten die kommunistischen Partisanen, die zwar mit dem orthodoxen Glauben nichts Gemeinsames hatten, deren Ideologie andererseits die Gleichstellung aller slawischen Völker im neuen sozialistischen Staat versprach.

Nicht zuletzt auf Grund ihrer unparteiischen Haltung blieben im Krieg die Rajevo Selo Schlarbs vor Angriffen seitens der jugoslawischen Untergrund-Verbände verschont:

“Die Ustascha haben die Serben bedroht, zwangen sie zur Umtaufe auf den katholischen Glauben, wollten die serbische Kirche niederreißen, was mir gelang zu verhindern”, berichtet Jakob Schlarb. “Dies wurde mir von den Tschetniks hoch angerechnet, deren Stab jenseits der Sawe in Vucilovac stationiert war, und dies trug viel dazu bei, daß wir während der Kriegsdauer nie von den Partisanen bedroht wurden.”
(Weißbuch, S. 759)

Unparteilichkeit sollte aber der Familie Schlarb, wie allen anderen Volksdeutschen Jugoslawiens, letzten Endes nichts nützen. Denn ungeachtet der loyalen Haltung der Donauschwaben gegenüber Jugoslawien vor 1941, hatten sowohl serbische als auch kroatische Politiker beschlossen, nach dem Krieg das Land von jeglicher deutscher Präsenz zu säubern. Dieser Beschluß festigte sich noch mehr als donauschwäbische Soldaten in den Dienst des deutschen Reichsheers traten. Auch junge Männer der Schlarb-Familie leisteten Kriegsdienst für Nazi-Deutschland. Zunächst bildeten die Volksdeutschen lediglich ein Selbstwehr-Korps, um ihre Dörfer vor Partisanen-Übergriffen zu schützen. Auf ausdrücklichen Befehl des SS-Führers Himmler hin wurde bald daraus eine eigene Division mit dem Namen “Prinz Eugen”, der nur volksdeutsche Soldaten angehörten. Da laut Gesetz nur “Reichsdeutsche” – i.e. in Deutschland Geborene – in die Wehrmacht eintreten durften, wurde die volksdeutsche Division direkt der SS als Teil der “Waffen-SS” unterstellt. Auch wenn nach außen hin betont wurde, für Volksdeutsche bestehe keine Wehrpflicht, spricht einiges dafür, dass die Schlarbs und andere de facto regelrecht zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Dies geht unter anderem aus einem Schreiben Himmlers an die VOMI 1942 hervor:

Ich bitte, Janko [den Führer der Volksdeutschen] darüber mündlich aufzuklären, daß ich als der vom Führer bestimmte Verantwortliche für die Volksdeutschen in der Welt die Wehrpflicht für diese Volksgruppe erklärt habe, daß jedoch aus außenpolitischen Gründen von einer Veröffentlichung dieser Erklärung abgesehen wurde… Es ist unmöglich, daß Deutsche in Europa irgendwo als Pazifisten herumhocken und sich von unseren Bataillonen beschützen lassen.
(Weißbuch, S. 79)

Dieser Umstand erklärt, warum nach dem Zweiten Weltkrieg einige Angehörige der Familie Schlarb die Schmach einer SS-Vergangenheit ertragen mußten. Die Betroffenen wußten zwar alle selber, dass ihnen nichts Anderes übrig geblieben war, als in die Waffen-SS einzutreten, das aber Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen in ihrer neuen Heimat, in der Bundesrepublik Deutschland, in Kanada oder den USA zu vermitteln, war und bleibt ungemein schwierig.

7. Das Ende des Zweiten Weltkriegs

Mit der Niederlage vor Stalingrad im Februar 1943 und der alliierten Invasion an der Normandie-Küste im Juni 1944 begannen die deutschen Kriegsfronten beiderseits schnell abzubröckeln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Volksdeutschen in Jugoslawien den Übergriffen der sowjetischen Roten Armee und der jugoslawischen Partisanen ausgesetzt würden. Dabei zeichnete es sich bereits im serbischen Banat ab, dass die Volksdeutschen mehr von Letzteren zu fürchten hatten. Die Rote Armee verhaftete lediglich Ortsführer und andere politisch Verantwortliche, die Partisanen hingegen hatten es auf Blutrache für die deutsche Besatzung und endgültige Auslöschung jeglicher deutscher Präsenz in Jugoslawien abgesehen. Die Brutalität, mit der die Partisanen vorgingen – und die übrigens auch für die Jugoslawien-Kriege 1991-1999 ganz kennzeichnend war – läßt sich möglicherweise als kulturelles Relikt aus der langen Epoche der türkischen Besatzung erklären:

Die besondere Grausamkeit der Kriegführung auf dem Balkan ist keine Sondererscheinung des letzten Krieges [i.e. des Zweiten Weltkriegs] gewesen… Die Geschichte der Kriege und Kämpfe unter den Stämmen und Völkern des Balkans ist zugleich eine Geschichte fürchterlicher Grausamkeit, Plünderungen, Brandschatzungen, Vergewaltigungen. Im wesentlichen sind es Einflüsse der türkischen Herrschaft, die sich hier noch auswirken. Dem türkischen Kriegervolk stand die Vorstellung einer “Heiligkeit” des Menschenlebens durchaus fern, der Islam predigte die Ausrottung der Ungläubigen. So haben die Türken in ihren Eroberungskriegen Städte und Dörfer zerstört, alte Frauen und Männer ermordet, junge Frauen und Mädchen in die Sklaverei geführt, die feindlichen Soldaten erschlagen. Im Kampf gegen die Türken, die Unterdrücker, entwickelten die Völker des Balkan natürlich entsprechende Methoden.
(G. Scheller, zitiert nach G. Böddeker, Die Flüchtlinge, Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, München 19955, S. 342)

8. Die unsichere Flucht in den Westen

Bereits im September 1944 zogen Donauschwaben aus dem rumänischen Banat durch Slawonien auf der Flucht vor der Roten Armee. Doch die für die Evakuierung zuständige VOMI mit Sitz in Berlin überblickte die Situation nicht. Einerseits glaubte man an eine deutsche Gegenoffensive an der jugoslawisch-rumänischen Grenze im Banat. Zudem befahl Hitler den Verbleib aller Volksdeutschen, um die Kampfmoral nicht zu schwächen. Auch wenn Hitlers ursprünglicher Plan eine Umsiedlung der Donauschwaben in andere Reichsgebiete vorgesehen hatte, paßte dieses Szenario schlecht in seine sich in den letzten Kriegsmonaten abzeichnende Adhoc-Strategie, die vor allem auf das Durchhalten und das Warten auf die Wunderwaffe setzte.

So kam es, dass die Volksdeutschen bis zuletzt verunsichert waren. Die Älteren neigten zum Bleiben, wiegten sie sich wohl eher in Sicherheit, da sie den Übergang von der Donaumonarchie zum Königreich Jugoslawien unbeschadet überlebt hatten. Die Jüngeren hingegen, insbesondere solche mit höherer Bildung, sahen die herannahende Gefahr, doch auch sie durften nicht nach Westen ziehen. Etliche, darunter auch Angehörige der Familie Schlarb, machten sich trotzdem auf, passierten die österreichische Grenze unbemerkt und tauchten in Österreich unter. Die jungen Männer der Prinz Eugen Division hatten natürlich keine Wahl; Erschießung als Deserteur wartete auf jeden, der versuchte heim zu kehren.

Erst am 2. Oktober 1944 wurde das Fluchtverbot aufgehoben, zu einem Zeitpunkt, als die Rote Armee im serbischen Banat weit vorgedrungen war. So konnte in dieser Gegend, etwa 150 Kilometer von Rajevo Selo entfernt, nur 10 Prozent der volksdeutschen Bevölkerung evakuiert werden. Nun durfte die volksdeutsche Führung eine generelle Flucht organisieren und durchführen. Trotz der knappen Zeit gelang dies auch in Ostslawonien, wie der Bericht von Jakob Schlarb darlegt:

Die Evakuierung wurde von der Kreisleitung Vinkovci organisiert. Die Wagen der Ortschaften von Rajevo Selo, Gunja, Racinovci, Drenovci sammelten sich in Rajevo Selo, in Zupanja kam noch der Ort Vrbanja dazu. Als Treckführer fungierte ich, es half mir noch mein Bruder Franz. Es war ein Treck von 350 Wagen und ca. 1000 Personen. Marschrichtung: Esseg, von da über die Drau, durch Ungarn, bei Sopron über die Grenze.
(Weißbuch, S. 759)

Nur wenige alte oder gebrechliche Menschen fanden in den Eisenbahnwaggons Platz, der weitaus größte Teil schloß sich in einem Treck zusammen, einer Kolonne von Pferdewagen, auf denen Mütter, Kinder und Greise saßen, während die Rüstigeren nebenher marschierten. Nur das Notwendigste aus dem Haushalt konnte mitgenommen werden, man war froh, die Familie zusammen halten zu können. Über dem Wagen spannte man ein Zeltdach, um gegen Wind und Regen zu schützen, manchmal mußte man auch darunter übernachten, wie Jakob Schlarb berichtet:

Jeden Abend ging die Furcht um über die Unterbringung. Oft wurde die Frage an mich gerichtet: “Jakob-Vetter, wie weit fahren wir noch?” Ich antwortete: “Ja, noch weit.” Übernachtung auf offener Straße, in Regen, Sturm und Wind. Die armen, braven Pferde zitterten, die Kinder weinten und die Alten mit.
(Weißbuch, S. 759)

Der Flüchtlingstreck, den Jakob Schlarb anführte, verließ Rajevo Selo am 14. Oktober 1944. Vier Tage später, am 18. Oktober, passierte er die Grenze zu Ungarn bei Osijek (dt. Esseg). Nun waren sie formell im deutschen Reich und somit vorläufig in Sicherheit. Die tägliche Herausforderung der Nahrungsbeschaffung für Mensch und Pferd und die Suche nach Übernachtungsmöglichkeit begleiteten sie noch viele Tage. Insbesondere die Alten taten sich schwer angesichts solcher Härten, manche von ihnen starben sogar unterwegs. Am nächsten großen Meilenstein auf der Flucht kam der Treck am 2. November vorbei: an diesem Tag erreichte man Sopron (dt. Ödenburg) in Westungarn:

Sechs Kilometer nach Sopron kam die Grenze. Dann fuhren wir durch deutsche Dörfer.
(Eva Jason geb. Schlarb, Handschriftliche Chronik 1948-1952; im Folgenden: Chronik)

Es waren natürlich österreichische und keine deutschen Dörfer, durch die die Familie Schlarb in den Novembertagen des Jahres 1944 gezogen ist. Aber hier sprach man deutsch, man konnte sich besser verständigen. Nicht zuletzt war man von der stillschweigenden Erwartung beflügelt, unter “Deutschen” würde man das Flüchtlingsschicksal leichter ertragen können. Diese Hoffnung entpuppte sich jedoch als Chimäre. Denn Österreich hatte viel im Krieg gelitten: Städte waren ausgebombt, Lebensmittel wurden rationiert, Not und Hunger bestimmten auch hier den Alltag. Flüchtlinge aus dem Osten stellten lediglich eine weitere Strapaze für eine bereits zusammengebrochene Versorgungslage da.

Allmählich wurde die nächtliche Kälte zu einem immer größeren Problem: “In der Nähe von Ebenfurth wurde der Treck in zwei Teile geteilt, um das Übernachten d.h. die Unterbringung zu erleichtern” (Chronik). Alle freuten sich außerordentlich, als in St. Pölten, 40 Kilometer westlich von Wien, Unterkunft in einem Haus gefunden werden konnte.

9. Wohin jetzt?

Wohin? Die Frage war immer brisanter geworden, seitdem der Treck die österreichische Grenze passiert hatte. Denn die Schlarb-Familie war über 150 Jahre lang in Jugoslawien gewesen, es gab weder in Deutschland noch in Österreich engere Verwandte mehr. Ein Enkelsohn Adam Schlarbs, Jakob jun., war im voraus mit seiner Familie nach Neumarkt-Kallham gezogen, einem Dorf in Oberösterreich nahe Grieskirchen, wo er Beschäftigung und Unterbringung gefunden hatte. Nichts lag näher als diesen kleinen Hausruckviertler Ort aufzusuchen und die Sippe wieder zu vereinen.

Der Empfang in Neumarkt-Kallham war keineswegs begeistert:

Wir meinten, unsere Reise beendet zu haben. Aber dies war nicht der Fall. Allmählich kamen die Bauern aus ihren Häusern und schauten uns mißtrauisch an. Nach drei Stunden Bedenkzeit wurden uns die Wohnungen zugeteilt. Wer bekamen für 10 Personen einen kleinen Raum.
(Chronik)

Zwei Tage danach wurde die Schlarb-Familie in großzügigeren Quartieren bei den Bauern Josef Kirnbauer und Josef Rebhan im Ortsteil Holzleiten untergebracht. Dort blieben die Schlarbs eineinhalb Jahre, bis August 1946. In dieser Zeit arbeiteten sie bei den Bauern mit; für ihren Feldeinsatz erhielten sie Lebensmittel. Somit ging es ihnen nicht schlechter als dem Durchschnitt der österreichischen Bevölkerung zu Kriegsende. Nur, sie hatten alles verloren: die Großbauern waren zu Landsknechten geworden.

Knapp ein Monat nach der Einquartierung in Neumarkt-Kallham, am 16. Dezember 1944, starb das Sippenoberhaupt Adam Schlarb. Mit seinen 88 Jahren war er schon in Jugoslawien gebrechlich gewesen; geschwächt von den Strapazen der Reise, fand er sich in der neuen, fremden Umgebung nicht mehr zu Recht. Den Wiederaufstieg seiner Söhne, Töchter und Enkelkinder sollte er nie erleben.

10. Der Völkermord an den Donauschwaben

Was war inzwischen den wenigen volksdeutschen Bewohnern Rajevo Selos geschehen, die sich dem Treck nicht angeschlossen hatten? Darüber gibt Jakob Schlarb ein wenig Auskunft:

15 Personen, hauptsächlich in Mischehen, blieben im Dorf zurück. Nach dem Einmarsch der Partisanen blieb es zunächst im Dorf ruhig. Nach etwa zwei Monaten wurden alle Deutschen bei Nacht geholt, “vier sofort liquidiert und Sawe-abwärts geschickt; der eine, halbtot gefoltert, starb kurze Zeit darauf. Vier kamen ins Lager nach Mitrowitz, wo einer starb, drei durften nach dreijähriger Internierung in den Heimatort zurück, wo sie der Überwachung der Milicija unterstellt sind.
(Weißbuch, S. 759)

Später stellte die Wissenschaftliche Kommission der deutschen Bundesregierung fest, dass die Partisanenverbände einen regelrechten, planmäßigen Völkermord an den zurückgebliebenen Donauschwaben verübten. Exekutionseinheiten der Partisanen zogen von Dorf zu Dorf, internierten die Volksdeutschen und erschossen eine große Zahl von ihnen, darunter auch Frauen und Kinder. Zwischen Oktober 1944 und April 1945 wurden im Zuge der von Tito angeordneten Aktion Intelligenzija rund 10.000 Volksdeutsche umgebracht, zumeist besser gestellte Personen oder solche in leitender Stellung. Im Laufe des Jahres 1945 wurden die meisten Überlebenden enteignet und in Konzentrationslagern zusammengezogen, von wo aus sie zu Zwangsarbeit herangezogen wurden. Insgesamt 150.000 Donauschwaben, darunter 30.000 aus Jugoslawien, wurden nach Rußland abtransportiert, wo in den folgenden Jahren über 20 Prozent den unmenschlichen Lebensbedingungen erlagen. Die sowjetische Regierung bestand nämlich auf großen Kontingenten volksdeutscher Zwangsarbeiter als Wiedergutmachung für die Schäden, die die deutsche Wehrmacht in den Kriegsjahren angerichtet hatte. Erst Anfang der 50er Jahre wurde den Zurückgebliebenen die Ausreise in die Bundesrepublik gestattet. Dabei mußten Tausende von donauschwäbischen Familien auf die eigenen Kinder verzichten; diese wurden nämlich ihren Eltern weggenommen und zu jugoslawischen Staatsbürgen erzogen. Insgesamt starben ca. 69.000 Volksdeutsche Jugoslawiens zwischen dem Einmarsch der Roten Armee und der endgültigen Befriedung des Landes.

11. Die Rückkehr nach Deutschland

Die Ironie der Geschichte will es haben, dass die Schlarb-Familie nach Deutschland zurückkehrte, wie sie einst von dort weggezogen war: als arme Bauern ohne Land. Am 8. August 1946 traten die Angehörigen der Familie Schlarb eine lange Zugreise an, die sie an ihr nächstes, vorläufiges Zuhause bringen sollte. Gemeinsam mit Hunderten von anderen Flüchtlingen fuhren sie über Attnang-Puchheim, Salzburg und Nürnberg bis nach Windsheim im Mittelfranken. In Rodheim Kreis Uffenheim bekam die Schlarbs erneut Quartiere zugeteilt, diesmal größer als zuvor, samt der Möglichkeit, in kleinem Rahmen Landwirtschaft zu betreiben. Bescheidene Erfolgserlebnisse schürten größere Hoffnungen: zuerst schaffte man sich zwei Schweine, später dann sogar eine Kuh an. So fühlten sich die Schlarbs allmählich wieder wie selbständige Bauern.

In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Deutschland in einem elenden Zustand. Die Großstädte erstickten förmlich in Schutt und Asche, die Industrieproduktion lag darnieder und, was die wirtschaftliche Misere noch verschlimmerte, 12,5 Millionen Flüchtlinge – neben Donauschwaben auch Sudetendeutsche, Schlesier, Ost- und Westpreußen – strömten ins Land und bettelten um Unterkunft und Verpflegung. Als die Kunde von einem neuen Flüchtlings-Siedlungsgesetz Rodheim erreichte, nahmen die Schlarbs ihr Schicksal in die eigene Hand:

Dank der Initiative des Jakob Schlarb sen., der unaufhörlich umherreiste und Verbindungen mit der Bayerischen Landesregierung aufnahm, wurde die sog. Pangerfilze der Sippe Schlarb als Kultivierungs- und Siedlungsgelände angeboten.
(Chronik)

12. Der “Traum” von Schlarbhofen

Ein Moor geschenkt zu bekommen, ist nicht jedes Bauern Wunsch. Denn die Kultivierung einer solchen Landschaft setzt einerseits viel Geschick in wasserbautechnischen Hinsicht sowie intensiven Arbeitseinsatz voraus. Die Schlarb-Familie nahm die Herausforderung an, auch wenn die Nachbarbauern an der Filze ihnen skeptisch entgegensahen. Bezeichnenderweise grenzen zwei Moorgebiete an Schlarbhofen, die Hochrunst- und Kollerfilze, die bis heute niemand der Mühe wert erachtet hat, urbar zu machen.

Das Verschieben der Moor in einem Bergbauwagen

Drei Vorteile hatte diese Bauernsippe, als sie sich mit diesen 145 Hektar Moor maß. Erstens verfügte sie über ein großes Reservoir an Arbeitskraft. Von Adams Söhnen hatten sechs den Krieg überlebt. Diese hatten wiederum eigene Familien samt teilweise erwachsenen Kindern; insgesamt waren es rund 50 arbeitsfähige Menschen. Darüber hinaus kam ihnen das alte Wissen um die Bebauung von Mooren und Sümpfen entlang der Flüsse Donau und Save in Jugoslawien zu Gute. Und schließlich erhielten sie Hilfe von Expertenseite: die Moorwirtschaftsstelle Großkarolinenfeld, die ihrerseits einem von Pfälzern gegründeten Moorkultivierungsprojekt entsprungen war, erteilte Rat und verlieh Spezialfahrzeuge.

Schlarb bruders

Die Arbeit in der Pangerfilze nahm man am 15. Juni 1948 in Angriff. Doch zunächst mußte die Kultivierung warten, denn für 71 Menschen mußte Wohnraum her:

Auf dem Flugplatz in Bad Aibling werden drei Baracken abgerissen. Sorgfältig muß gearbeitet werden, damit sie wieder ordentlich als Wohnbaracken aufgestellt werden können. (Chronik)

Die Barracken, der erste Acker

Nach zwei Monaten war ein Areal abgeholzt – das ganze Moor war von Bäumen und Sträuchern überwuchert – und die Baracken im Rohbau aufgestellt. In der Folge füllt man die Barackenwände mit Lehm zur Isolierung aus und stellt im Inneren Ziegelmauern zur Aufteilung des Wohnraums für die einzelnen Familien auf. Bis Anfang Oktober sind die Baracken fertig und die Rodungsarbeiten können in Angriff genommen werden. Bereits vor dem Winter wird umgepflügt: der dunkle, lehmige Moorboden kommt zum Vorschein.

Löschen des Landes

Umverteilen des Bodens

Verlegen der Schienen

Jetzt geht alles Zug um Zug. Man arbeitet den ganzen Winter hindurch an der Entwässerung der gerodeten Felder. Solange das Tageslicht reicht, werden die Hauptentwässerungskanäle ausgehoben, zumeist mit der Hand. Männer legen Schienen hin zu den Gräben, Loren voll mit Aushub schieben Frauen und Männer zu den tieferen Stellen des Moores und füllen diese auf. Arbeiter und Arbeiterinnen verlegen Tonrohre unter der Erde in einer Länge von 70 Kilometern; es entsteht eine riesige Drainanlage. Mit dem Frühling kommen die ersten Früchte des Feldes: die ersten Moorkartoffeln können geerntet werden. In den folgenden Monaten und Jahren wird Unterschiedliches ausgesät: neben Weizen, Mais und anderen Getreidesorten gedeiht auch Hanf im schwarzen Boden. Bald können sich diese mehr als siebzig Menschen ohne Fremdhilfe ausschließlich vom Land ernähren. Aber nicht nur das, der Verkauf ihrer Erzeugnisse beschert ihnen einen wachsenden Wohlstand, der sich in der Anschaffung von Pferden, Kühen und Schweinen sowie von Traktoren und anderem landwirtschaftlichem Gerät äußert. Am 15. Mai 1952, knapp vier Jahre, nachdem die Schlarbs die Pangerfilze erstmals betraten, wird der Grundstein zum ersten einer Reihe von Bauernhäusern gelegt.

13. Der Besuch von Horst Mönnich

Anfang der 50er Jahre besuchte Horst Mönnich, ein Hamburger Schriftsteller, Schlarbhofen. Seine Eindrücke und Recherchen verarbeitete er in einem Hörfunkspiel mit dem Titel Hiob im Moor. Die Titelwahl war freilich nicht zufällig, versuchte er doch Parallelen zwischen der biblischen Leidensgestalt und dem schwer vom Kriegsschicksal getroffenen Jakob Schlarb sen. aufzuzeigen. Die Ähnlichkeiten sind in der Tat augenfällig: hier einer, dem mit einem Schlag Reichtum und Familie weggenommen werden; dort einer, der Hab, Gut und Heimat über Nacht verliert. Während der biblische Hiob vom Satan versucht wird, Gott endlich zu fluchen und damit Genugtuung zu erlangen, sieht sich Jakob gemeinsam mit seinen Geschwistern der Versuchung ausgesetzt, wie Millionen anderer Vertriebenen zu resignieren und das Flüchtlingsschicksal hinzunehmen. Dies bedeutete mit wenigen Ausnahmen sich über ganz Deutschland verteilen zu lassen, in Hinterhöfen oder ausgebombten Kellern in den Städten zu hausen, Arbeit zu suchen und auf bessere Zeiten zu warten. Somit gingen die ehemaligen Flüchtlinge allmählich in die allgemeine Bevölkerung auf, sie wurden Industriearbeiter und Handwerker und bauten ihre bescheidenen Einfamilienhäuser am Stadtrand, zumeist in Eigenregie.

Die Familie Schlarb aus Rajevo Selo trotzte ihrem Schicksal, sie blieb zusammen und sie blieb am Land. Aber auch inmitten der Erfolgs-Story der ersten Generation in Deutschland, war man sich bewußt, dass Schlarbhofen für die meisten wieder nur ein vorläufiges Zuhause sein könnte. Denn 145 Hektar Land waren schon für die 70 Pioniere aus Jugoslawien fast zu klein. Der Hörspielautor Mönnich drückt diese Einsicht so aus:

Erzählerin: …wischte Jakob Schlarb sich eine Träne aus dem Auge, denn er brachte seinen Sohn Martin zum Zug, und dieser Zug fuhr nach Bremen, und von dort fuhr ein Schiff nach Kanada.

1. Stimme: Martin, der jüngste, wanderte aus und ging in die Nickelgruben von Toronto, um Dollars zu verdienen…

Erzählerin: Aber Eva, die Schwester Martins, konnte nun ihre Ausbildung als Dolmetscherin bezahlen.

Jakob: Für alle ist das Moor zu klein, Eva. Du taugst zum Studieren. Hier soll Deine Heimat sein. Aber dein Brot, das verdienst du besser und leichter draußen.
(Horst Mönnich, Hiob im Moor, Hamburg 1966, S. 73)

14. Schlarbhofen und was daraus wurde

Die sechs Brüder Schlarb, d.s. die Söhne Adams, und deren Frauen sollten noch ihren Lebensabend in Schlarbhofen verbringen.

Sie blieben dem aus Jugoslawien mitgebrachten Brauchtum, donauschwäbischen Dialekt und evangelischen Glauben verhaftet. Obwohl manche von ihnen beinahe ihr halbes Leben in Bayern verbrachten, wurden sie nie Bayern; das wurde ihnen von ihren Nachbarn nicht gegönnt, das wollten sie auch selbst nicht. Schon manche ihrer Kinder zogen weiter, in die nächst gelegene Kleinstadt, Kolbermoor, andere sogar, wie vier Kinder Jakobs, wanderten nach dem weit entlegenem Kanada aus.

Adams Söhne und die Gänse (Foto mit freundlicher Genehmigung von Matthais Schlarb)

Mit der dritten Generation, d.h. den Kindern, die um und nach der Gründung Schlarbhofens auf die Welt kamen, setzte sich diese Entwicklung noch stärker fort. Nur wenige hatten Aussicht, den elterlichen Hof eines Tages zu übernehmen, aber noch weniger von ihnen konnten sich ein Leben in der Landwirtschaft vorstellen. Als in den 60er und 70er Jahren die Agrarpolitik der EWG zu greifen begann, rentierte sich das Kleinbauerndasein immer weniger: Äcker wurden gegen Prämien stillgelegt; statt Milch zu verkaufen, nahm man lieber Ersatzzahlungen in Anspruch. Die junge Generation erlernte handwerkliche Berufe oder studierte und zog nach Rosenheim oder München. Bereits diese, die Urenkel Adams, hatten keine Erinnerung mehr von den heißen Sommertagen an der Save, die donauschwäbische Kultur Jugoslawiens war für sie eine versunkene Welt. Heute sprechen sie alle bayerisch, zum Teil sind sie zum römisch-katholischen Glauben übergetreten, in nichts unterscheidet sich ihre Lebenswelt von der ihrer Nachbarn. Nur wenn sie zusammenkommen, zu einer Hochzeit, einem Begräbnis oder sonst einem Familienfest, verfallen sie in die alte “schwowische” Mundart; dann reden sie über die frühen Jahre, als die Alten “no am Lewe wore” und Schlarbhofen wie eine Halbwildnis aussah.

Schlarbhofen heute

Für den Inhalt verantwortlich: Robert Schlarb, Graz, Austria

Bildernachweis: Katharina Stieb geb. Schlarb; Werner Stieb;
J. V. Senz, Geschichte der Donauschwaben, München 1993;
Donauschwäbische Kulturstiftung, Weißbuch der Deutschen aus Jugoslawien, München 1992 (Karten); www.mapquest.com (Karten)

© 2000 by Robert Schlarb, Graz, Austria

Über den Autor

Writer, historian, translator, interpreter – born in Ottawa, Canada, a son of German nationals, Robert-Phillip Schlarb BSc MA MTh PhD became a citizen of Austria in 1995. 100% fluent in English and German, he works as a freelance translator specializing in PC programming, network technology, religion, theology, philosophy, psychology, social sciences, mechanical engineering, natural sciences, and legal contracts (esp. corporate).


Wegweiser nach Schlarbhofen

Dear Phil,

I was referred to you by my brother, Henry Schlarb of Ottawa Canada.  He tells me you are planning a trip to Germany this coming summer and would like to visit Schlarbhofen.  As you can see I am including a map to help you get there since the place is not included in most maps.

Here is how to get there (from Munich/München):

Follow the A8 (Autobahn München – Salzburg) until the exit Bad Aibling and go about one kilometer to the village of Pullach where you reach the provincial highway from Munich to Rosenheim. Here you head east (turn left) in the direction of Kolbermoor and Rosenheim and keep going about three or four kilometers. Here comes the difficult part: On your right you will see basically farms and fields with the mountains in the background. After one such field you should come across a used car lot on the right hand side and you may notice a small sign saying “Schlarbhofen”. This is Schlarbhofenerstrasse and you turn right here and continue on straight ahead for about one kilometer. Once you reach a cluster of buildings you are there.

I don’t know what you have heard up to now, but don’t expect a whole lot. The village is basically a former farming settlement. Now it houses a number of people who commute to Rosenheim and Munich for work. If you need further information and would like to announce you are coming, get in touch with my cousin Werner und Sylvia Stieb.

Feel free to get in touch with me any time. I live in Austria near Vienna, about a four hour drive from Schlarbhofen and know about as much about the family history as anyone alive.

Robert Schlarb

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